Die Schwierigkeit einen Stammbaum zu zeichnen
Genealogie/Genealogy – oder auch Sippenforschung genannt – ist eine faszinierende Zeitbeschäftigung, die mittlerweile nicht nur der adligen Oberschicht zugänglich ist. Durch im Internet verfügbare Archive und Suche per Google kann man relativ schnell Kontakte zu weit entfernten Familienmitgliedern herstellen. Auch einige Blogs beschäften sich mit diesem Thema, zum Beispiel das Genealogie-Tagebuch, Abenteuer Ahnenforschung oder Eastman’s Online Genealogy Newsletter.
Aber wie erstellt man einen Familienstammbaum? Fange ich bei mir an und zeichne im Bottom-Top-Verfahren alle meine Vorfahren auf? Oder fange ich bei einem Urahnen an und zeichne im Top-Bottom-Verfahren dessen Nachfahren auf? Will ich eine vollständige Liste all derer, deren Gene ich in mir trage, oder all derer, mit denen ich die Gene eines bestimmten Menschen teile? Im Bottom-Top-Verfahren fallen oft die Geschwister der Urahnen weg, im Top-Bottom-Verfahren die Eltern und Geschwister der Partner der Nachfahren.
Stammbäume im Web 1.0
Es gibt zahlreiche Programme, mit denen man Familienstammbäume anlegen kann, beispielsweise Wingeno. Mit diesen Programmen kann man Stammbäume aus jeder Perspektive visualisieren. Das Problem: irgendwo ist die Datei mit den verschiedenen Verbindungen zwischen Personen gespeichert und kann meistens nur von einer Person bearbeitet werden. Familienstammbäume entstehen isoliert und können nicht gemeinschaftlich bearbeitet werden.
Familienstammbäume sind auch übersichtlicher als andere Netzwerke: Jede Verwandschaftsbeziehung lässt sich über die Eltern-Kind-Relation ableiten, da die meisten Menschen genau einen (biologischen) Vater und eine (biologische) Mutter haben und Kinder im allgemeinen auch mit nur einem (biologischen) Partner gezeugt werden.
Dabei eignen sich gerade Familienetzwerke ideal zur gemeinschaftlichen Arbeit. Jedes Familienmitglied besitzt ein gewisses lokales Wissen der nächsten Verwandten. Wenn ich mit diesen Verwandten gemeinsam an einem gemeinsamem Stammbaum arbeite könnte, würde uns allen geholfen.
Eine Lösung bieten frei zugängliche Plattformen wie Wikitree. Das Editieren von Wikis ist zwar nicht sehr schwer, aber scheint doch viele für eine zu große Hürde zu sein, denn obwohl Wikitree schon seit 2005 existiert, wurden erst 46.262 Profile angelegt.
Andere Plattformen sind Ancestry.com (Blog, mit unglaublichen 5 Milliarden Einträgen), OneGreatFamily.com (siehe Kommentar), Kinjunction, Genesreunited oder Myheritage.com (für einen Vergleich der verschiedenen Angebote siehe Beitrag im Wallstreet Journal).
Stammbaum-Social-Networks
David Sacks, ehemaliges Vorstandsmitglied bei Paypal und Erfinder von geni.com wollte das Anlegen von Stammbäumen vereinfachen und hat eine grafische Benutzeroberfläche konzipiert, um “einen Stammbaum für die ganze Welt zu erschaffen”. Das Social Network erlaubt es, andere Verwandte per Email zur Mitarbeit einzuladen. Mehr als zehn Millionen Profile wurden bisher erstellt.
Auch in der Blogosphäre hat Geni.com gute Kritik erhalten (siehe Kevin Lim, MaunTech, Jason Unger, Alexis Brion, Web2.0Directory, Stefani Twyford, Whippleworld, TechcoastReview, PeoplesearchDigest, James Seng, Mark Buzinkay).
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Ob Geni.com gegen die etablierten Firmen bestehen kann, die wesentlich mehr Profile haben und schnell die besten Funktionen kopieren können, ist zwar fraglich (siehe Artikel von Michael Arrington). Dennoch wird Geni wird auf einen Unternehmenswert von 100 Millionen US-Dollar geschätzt (siehe Artikel von Michael Arrington). Das Unternehmen versucht, sich auf den Wachstumsmarkt China zu konzentrieren und hat dort auch schon eigene Büros eingerichtet (siehe Beitrag von Luyi Chen). Presseberichte erschienen unter anderem im Wall Street Journal.
Das Konzept von geni.com wurde von Sven Schmidt für den deutschsprachigen Raum angepasst (siehe dazu den Post von Mike Potter). Die deutsche Seite heißt verwandt.de, ist aber auch im Ausland, z.B. unter itsourtree.com erreichbar. Interessanterweise wächst Verwandt.de schneller als geni.com (Jeroen Jeremy).
Verwandt.de hat in Deutschland schon eine gute Presseresonanz (unter anderem in der Bild am Sonntag), zahlreichen Blogs (u.a. Robert Basic, Burkhard Schneider, Mike Lima, Volker Hepp, Mark Buzinkay). Verwandt.de war Teilnehmer im Wettbewerb zum Start-Up des Jahres.
Ein drittes Netzwerk macht es den beiden Vorreitern nach: Kindo.com. Hinter Kindo steht eine internationale Mannschaft junger Programmierer, Webdesigner und Vermarkter. Obwohl als letztes gestartet, hat Kindo in der Blogosphäre (z.B. bei Mutado, Internet-Business, Digital Passports, Mike Stopforth, Josh Lowensohn, Interment, The OpenPress, Xboxservice, Ruben Colomer, Deutsche Startups, Alexander Trust, Silvio Ströver, Comdao, Mark Buzinkay) und zum Teil in der Presse (bei jetzt.de) hohe Wellen geschlagen. Kindo hat sich aktiv an Blogger auch aus den hinteren Reihen gewandt, um Aufmerksamkeit für das Netzwerk zu erzeugen.
Die Vor- und Nachteile von Geni.com, Verwandt.de und Kindo.com
Die Erstellung von Stammbäumen ist in allen Netzwerken denkbar einfach: ausgehend von einer beliebigen Person kann man Eltern, Geschwister, Kinder oder Partner hinzufügen (siehe z.B. Videos von Kindo)
Da alle drei Seiten mit Flash programmiert wurden, ist die graphische Darstellung sehr schön. Man klickt auf eine beliebige Person im Stammbaum und bekommt dessen Urahnen, Geschwister und Nachfahren angezeigt. Weitere Verzweigungen werden ausgeblendet, können aber durch einen Klick auf die jeweilige Person eingesehen werden.
Es ist möglich, diverse Zusatzinformationen anzulegen – wie zum Beispiel Hochzeits-, Sterbe- und Geburtsdaten, die in einem Kalender angezeigt werden. Aber auch Adressdaten, Fotos und vieles mehr können gespeichert werden und gemeinsam bearbeitet werden. In den allgemeinen Funktionen unterscheiden sich die Netzwerke nur im Detail – Kindo hat etwas weniger von Geni.com abgekupfert als Verwandt.de, aber die Ähnlichkeit ist unverkennbar.
Exportieren, Löschen, Verändern
Geni und Verwandt erlauben das Exportieren als Gedcom-Datei, Kindo erlaubt dies noch nicht. Keines der Netzwerke erlaubt es, Gedcom-Dateien zu importieren, was ein großes Manko ist, wenn man schon andersweitig Stammbäume erstellt und abgespeichert hat. Geni plant eine Share-Version, bei der man Teile des Stammbaums auf der eigenen Webseite, bei Facebook oder bei Myspace einbinden kann.
Es ist bei allen drei Netzwerken nicht möglich, verschiedene Stammbäume miteinander zu verschmelzen, aber Geni denkt darüber nach. Wenn beispielsweise eine Cousine einen ähnlichen Stammbaum schon angelegt hat, kann ich sie nicht in meinem Stammbaum einladen und es ist nicht möglich, durch Zuordnung von Personen die Stammbäume ineinander überzuführen.
Auch das Löschen von Personen ist bei allen drei Netzwerken nicht optimal gelöst. Zum einen können nur Personen gelöscht werden, die noch nicht per Email eingeladen sind – allerdings ist hier der Support von verwandt.de sehr hilfreich.
Zum anderen können nur Personen gelöscht werden, die Endpunkte im Netzwerk sind, also nur eine anderen Kontakt haben. Wer zwei Kontakte hat, kann nicht mehr gelöscht werden, ohne dass die Kontakte gelöscht hat. Der Support von geni.com war aber sehr hilfreich, als es mir darum ging, einen ganzen Familienstammbaum komplett zu löschen.
Datenschutz und Co.
Jeder, der an einem Stammbaum bei geni.com oder verwandt.de mitarbeitet, kann theoretisch den kompletten Stammbaum löschen. Das bedeutet, wenn ich jemanden einlade, der dann wiederum jemanden anderes einlädt, kann diese Person in vollem Umfang auf meinem Stammbaum zugreifen und die Daten verändern. Die Zugriffsrechte sind bei allen drei Netzwerken nur ungenügend gelöst.
Auch eine andere Frage bleibt ungelöst: was passiert mit den Daten? Familienstammdaten sind sehr wertvoll und der Anreiz, diese zu monetarisiere, sehr hoch – trotz aller Datenschutzbestimmungen und Verpflichtungserklärungen, dass der Zugriff kostenfrei bleibt.
Zirkel und Alleinerziehende
Verwandt.de erstellt ungefragt Zuordnungen, die sich nicht rückwärts machen lassen kann. Angenommen eine Frau hat einen unehelichen Sohn, der Vater ist nicht bekannt. Später heiratet sie einen weiteren Mann und hat weitere Kinder mit diesem zweiten Mann. Dann wird der erste uneheliche Sohn automatisch dem zweiten Ehemann zugeordnet. Bei geni.com und bei Kindo lassen sich “Single Parents” erstellen oder auch Kinder mit unbekanntem Elternteil angeben.
Komplizierte Verwandtschaftsbeziehungen, bei denen die mütterliche und die väterliche Seite der Verwandtschaft miteinander schon verwandt sind, sind bei verwandt.de nicht abbildbar. Dazu müssen noch nicht mal inzestiöse Verhältnisse wie beim europäischen Hochadel vorliegen, auch ganz normale Fälle können bei verwandt.de nicht angelegt werden.
Wenn zwei Schwestern zwei Brüder heiraten, ist dies nicht möglich bei verwandt.de abgebildet zu werden. Das Problem besteht darin, dass die Schwestern gleichzeitig auch Schwippschwägerinnen sind.
Bei geni.com ist es möglich, sogenannte “Family Cycles” anzulegen, allerdings lassen sich diese dann nicht mehr rückgängig machen und die mittels des Cycles verbundenen Personen lassen sich nicht mehr löschen.
Unternehmenskommunikation und Performance
Alle drei Unternehmen unterhalten Blogs, um mit den Nutzern in Kontakt zu treten. Geni hat ein umfangreiches Forum, in dem Fehler und Bugs diskutiert werden. Der Support ist in allen drei Fällen schnell und effektiv.
Bei verwandt und kindo dauert es bisweilen, eine neue Person anzulegen – dadurch treten Fehler bei den Stammbäumen auf. Hier ist Geni.com in der Schnelligkeit der Datenbanken seinen Nachahmern im Vorteil.
Fazit
Wer auch mit Englisch umgehen kann, sollte bei Geni seinen Familienstammbaum erstellen. Das Original hat bislang die größte Funktionsfülle und verspricht auch in Zukunft eine rasante Entwicklung. Wer einen Familienstammbaum auf Deutsch anlegen will, hat sowohl bei Kindo als auch bei verwandt gute Möglichkeiten, wobei sowohl bei Kindo als auch bei Verwandt einige Fehler in der Programmierung vorhanden sind.